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Leverkusen: eine industrielle Heimat

Die heutige Stadt Leverkusen erstreckte sich über mehrere – beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges selbstständige – Stadt- und Landgemeinden des unteren Landkreises Solingen, die teils dörflichen Charakter hatten und von der Landwirtschaft lebten, teils durch die Ansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben industriell geprägt waren.

Hoch industrialisiert war die von den FARBENFABRIKEN VORM. FRIEDR. BAYER & CO. dominierte Gemeinde Wiesdorf. Rund um die Fabrikanlagen war eine Stadt mit eigeständigem politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben entstanden.

Auch die Stadt Opladen hatte sich zu einem Industriestandort und Verkehrsknotenpunkt mit einem modernen Eisenbahnausbesserungswerk entwickelt, war gleichzeitig Geschäfts- und Verwaltungszentrum, Gerichts- und Schulstandort und seit 1914 Sitz der Kreisverwaltung.

Die Bürgermeistereien Schlebusch, Küppersteg und Rheindorf waren noch recht ländlich, doch hatte auch hier die Industrialisierung mit der Textilveredelung, Metallverarbeitung und Sprengstoffproduktion Einzug gehalten.

Die kleine Stadtgemeinde Bergisch Neukirchen, bekannt für ihren Obstanbau, war von der Industrialisierung noch kaum berührt, ebenso Hitdorf, ein beschaulicher Fischer-, Schiffer- und Hafenort am Rhein.

Der wirtschaftliche Aufschwung Leverkusens wurde durch den Ersten Weltkrieg jäh unterbrochen. Die bisher ungeahnte Massenkriegsführung mit ihren Material- und Abnutzungsschlachten hatte eine weitgehende Einbeziehung und Mobilisierung der „Heimatfront“ zur Folge.

Die Industrie in Leverkusen stellte ihre Friedens- auf eine Kriegsproduktion um, d.h. auf Rüstungsgüter, Munition und Sprengstoffe, für die BAYER führender Produzent wurde. Auch die bestehenden Sprengstofffabriken expandierten, doch rissen die Einberufungen große Lücken in die Belegschaften. Immer mehr Frauen nahmen aus Not die unbesetzten Arbeitsplätze der an der Front kämpfenden Männer ein.

Die Versorgungslage verschlechterte sich eklatant; die Bevölkerung war zunehmend ausgezehrt. Es kam zu ersten Protestaktionen. Die Kreisverwaltung versuchte, die desolate Lebensmittelversorgung, die prekäre Wohnraumsituation und die unzureichende Kriegsfürsorge zu stabilisieren.

Der Krieg forderte ungeheure Opfer; alleine aus den Farbenfabriken verloren 600 Männer ihr Leben auf dem Schlachtfeld. In vier Notlazaretten wurden zahlreiche Verwundete gepflegt. Die Stimmung war von Leid und Trauer geprägt. Kriegsmüdigkeit machte sich breit.

Als 1918 die Frühjahrsoffensive an der Westfront scheiterte, ahnten die Menschen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Enttäuschung und Desillusionierung waren das vorherrschende Gefühl.

Nach 4 Jahren Krieg wuchs die Friedenssehnsucht.

Kriegsende in Leverkusen

Die Meuterei der Kieler Matrosen Ende Oktober 1918 war das Fanal zur reichsweiten Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten, deren radikaler Flügel einen Umsturz zur bolschewistischen Räterepublik anstrebte.

Am 8. November übernahmen die Räte die Verwaltung in Wiesdorf und Schlebusch, ohne indes revolutionäre Aktivitäten zu entfalten. Sicherheit und Ordnung sowie die Bewältigung der Kriegsfolgen standen im Vordergrund. Man ließ die erfahrene bürgerliche Kommunalverwaltung bestehen und beschränkte sich auf Kontrollfunktionen.

An den Folgetagen bildeten sich auch in Opladen und Bergisch Neukirchen Räte. In Opladen waren die Soldaten des Zugmaschinenparks und die Arbeiter der Eisenbahn-Hauptwerkstätte radikaler und plünderten die Magazine. Die Revolutionsbereitschaft der Bevölkerung war jedoch gering. Die antirevolutionäre Stimmung wurde von den heimkehrenden Frontsoldaten verstärkt, die hier eine Zwischenstation einlegten.

Am 2. Dezember verließen die letzten deutschen Soldaten Opladen. Ab dem 10. Dezember besetzten britische Truppen gemäß dem Waffenstillstandsabkommen den Kreis Solingen. Die Besatzungsbehörden kooperierten nicht mit den Arbeiter- und Soldatenräten, sondern mit den etablierten bürgerlichen Kräften. Die Räte verloren bald jede politische Bedeutung.

Das Besatzungsregime strebte Ruhe und Ordnung an. Konflikte, Demonstrationen, „Agitationen“ usw. wurden nicht geduldet. Die Reglementierung des privaten und öffentlichen Lebens, von der abendlichen Ausgangssperre bis zur Zeitungszensur, waren rigide. Zuwiderhandlungen wurden militärgerichtlich geahndet. Die alliierte „Rheinlandkommission“ hatte ein umfassendes Weisungs- und Kontrollrecht. Zwar wurden die Besatzungstruppen ab 1920 stark reduziert, doch blieb das Verhältnis zu ihnen bis zu ihrem Abzug 1926 distanziert.

Für die Wirtschaftsunternehmen im Leverkusener Raum bedeutete das Kriegsende eine Umstellung der Kriegswirtschaft auf Friedensproduktion. Die Fabriken mussten ihre im Krieg aufgestockte Belegschaft erheblich reduzieren. Zugleich lasteten die Versailler Wirtschaftsauflagen auf der Industrie in der besetzten Zone. Demontagen sowie das Produktionskontrollrecht der Briten erschwerten die Produktion. Restriktive Handelsbeschränkungen, Ausfuhrverbote, die Kappung gewachsener Verbindungen (Saarland, linksrheinische Zone) und Reparationslieferungen halbierten den Absatz im Vergleich zur Vorkriegszeit.

Die Auflagen des Waffenstillstandsabkommens bzw. des Versailler Vertrages wurden von der Bevölkerung als extrem ungerecht empfunden.