Krieg will verwaltet werden
Die städtischen Verwaltungen waren in doppelter Hinsicht vom Krieg betroffen. Einerseits wurden ihre Angestellten und Beamten zu den Waffen gerufen, andererseits mussten sie sich auf die Kriegswirtschaft einstellen. In den besetzten Ländern übernahm die Besatzungsmacht mehr oder minder die Verwaltung. Das Kriegsende war von Revolutionen gekennzeichnet, in Deutschland von der kurzzeitigen Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte.
- Wie verhielten sich die Verwaltungen in der schwierigen Kriegs- und Nachkriegssituation?
- Wie veränderte sich ihre Arbeit?
- Wie erlebten sie das Kriegsende und welche Aktivitäten entfalteten sie danach?
KRIEG WILL VERWALTET WERDEN IN LEVERKUSEN
Mit dem Kriegsausbruch im August 1914 hörte in der Kreisverwaltung „die übliche Arbeit... schlagartig auf“ (Landrat Lucas). Die Kommunen hatten nun die Heimatfront zu organisieren und zu stabilisieren, insbesondere die Lebensmittelversorgung, die Wohnraumbeschaffung, die Sozialfürsorge und die öffentliche Ordnung.
Vier Jahre später, im Herbst 1918, zeigte die öffentliche Ordnung im Kaiserreich erhebliche Auflösungserscheinungen. Meuternde Kieler Matrosen gaben den Anstoß zur landesweiten Bildung revolutionärer Arbeiter- und Soldatenräte. Am 9. November entfachten angereiste Abgesandte unter den 1.500 Soldaten des Opladener Zugmaschinenparks einen Aufruhr, bildeten einen lokalen Arbeiter- und Soldatenrat und verkündeten, als Vertreter der Volksmassen die Gewalt übernommen zu haben. In den Folgetagen entstanden Räte auch in den übrigen Gemeinden des Kreises Solingen. Sie sahen sich als Herren und Kontrolleure der bisherigen Verwaltung, auf deren Kompetenz und Autorität sie klugerweise nicht verzichteten. Die Verwaltung konnte relativ unbehelligt weiterarbeiten.
Das Ende der Räteherrschaft nahte, als britische Truppen entsprechend den Waffenstillstandsbestimmungen Solingen Land als rechtsrheinischen Brückenkopf besetzten und am 12. Dezember in Wiesdorf einmarschierten.
Die deutschen Behörden wurden angewiesen, ihre Arbeit unter Aufsicht der Besatzungsmacht weiterzuführen. Man wollte nur mit den etablierten bürgerlichen Kräften kooperieren. Die Rätebewegung wurde als politischer Machtfaktor ausgeschaltet.
Das im Krieg weitgehend ruhende lokale Parteien- und Gewerkschaftsleben erwachte, doch war das Verbot der Gemeindewahlen im besetzten Gebiet am 2. März 1919 ein Dämpfer für eine Demokratisierung. Die Besatzungsmacht scheute das Risiko linker Mehrheiten und setzte auf die eingearbeitete Verwaltung.
Das Leben wurde jetzt durch zahlreiche Verordnungen der Besatzungsmacht reglementiert. Demonstrationen waren untersagt, politische Veranstaltungen genehmigungspflichtig, die Presse wurde zensiert, es bestand ein Streikverbot.
Konflikte löste man notfalls mit Polizeimaßnahmen. Die Militärregierung war aber bemüht, Versorgungsmängel und Not zu lindern.
KRIEG WILL VERWALTET WERDEN IN LEVERKUSEN: LANDRAT ADOLF LUCAS – DER WOHLTÄTER
Der Jurist Dr. Adolf Lucas (* 6. Juli 1862 in Elberfeld, heute Wuppertal, † 9. Mai 1945 auf dem Gut Groß Strömkendorf) war von 1900 bis 1927 Landrat des Landkreises Solingen. Er war verheiratet und hatte zwei Söhne und zwei Töchter.
Lucas hat den Landkreis über 27 Jahre hinweg in der Kaiserzeit, im Ersten Weltkrieg, in der kurzen Zeit der Räteherrschaft, unter englischer Besatzung und in der Weimarer Republik geprägt. Er und seine Frau Elisabeth waren in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht unabdingbar für die Stadt Opladen. Kurz vor Ausbruch des Krieges, am 1. Juli 1914, wurde die Kreisverwaltung von Solingen nach Opladen verlegt und das Kreishaus (das heutige Stadtarchiv Leverkusen) eingeweiht.
Während des Krieges setzte sich das Ehepaar besonders für die Kranken- und Verwundetenpflege ein. Mit Carl Duisberg, dem Generaldirektor der Farbenfabriken, tauschte Lucas sich über die Lazarette im Bayerwerk und in Opladen aus. Schon zu Friedenszeiten war der Landkreis Solingen bekannt für seine Sozialfürsorge, die im Krieg weiter intensiviert wurde. In seinen „Erinnerungen aus meinem Leben“ betont Adolf Lucas seinen Stolz, den er aufgrund der Arbeit der Frauen zu Kriegszeiten empfand. Besonders eifrig hat sich hier der Vaterländische Frauenverein betätigt, dessen Kreisvorsitzende die Ehefrau von Lucas war. Er selber hatte den Vorsitz im Roten Kreuz inne. Wie wichtig Adolf Lucas das soziale Engagement war, zeigt sich auch in seinen großen Bemühungen um die Lebensmittelversorgung, für welche die Verwaltungen von Stadt und Landkreis verantwortlich waren. So unternahm er zahlreiche Reisen zur Kartoffelversorgung.
Zum Kriegsende wurde Lucas von der „Machtübernahme“ durch die revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte überrascht. Als Landrat wurde er von den Räten gehasst und galt als Sündenbock für alle Unzulänglichkeiten im Kriege. Wegen seiner Fachkenntnisse ließen sie ihn und die bürgerliche Kommunalverwaltung jedoch im Amt und beschränkten sich auf eine Kontrollfunktion. Lucas gewann allmählich den Respekt der Revolutionäre, deren Herrschaft durch die englische Besetzung des Landkreises Solingen beendet wurde.
Die Engländer rückten mit vier Divisionen – 34.000 Mann – an. Landrat Lucas gelang es auch hier, die schwierige Besatzungszeit in Kooperation mit der englischen Besatzungsmacht zu regeln.
1927 schied er nach weiteren ereignisreichen Jahren in der Weimarer Republik aus dem Amt.
KRIEG WILL VERWALTET WERDEN IN VILLENEUVE D’ASCQ
Am 13. Oktober 1914 nahm die deutsche Armee Lille ein und übte die Staatsgewalt aus. In den Gemeinden wurden in öffentlichen Gebäuden oder in zwangsgeräumten Häusern Kommandanturen eingerichtet. An der Spitze stand der Kommandant, ein Offizier. Ihm unterstanden mehrere Unteroffiziere und etliche Milizsoldaten. Quartier nahmen die Offiziere in gepflegten Privathäusern, die Soldaten in einfachen Unterkünften.
Die früheren Präfekturen verschwanden. Die Bevölkerung wurde von den Bürgermeistern vertreten. Henri Delporte, Bürgermeister von Flers, wurde im September 1915 durch die deutsche Militärgerichtsbarkeit zum Tode verurteilt, weil er angeblich in der Schule von Flers-Breucq deponierte Waffen nicht deklariert hatte. Er wurde im Oktober zwar freigesprochen, aber in ein Lager nach Deutschland deportiert. Auch Jean-Baptiste Vincent, Bürgermeister von Ascq, wurde verschiedener Vergehen beschuldigt und zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
Neben dem Rathaus war die Kirche eine wichtige Institution für die Bewohner von Ascq, Annappes und Flers. In Ascq war seit 1900 Canon Géry Rogé der Pfarrer. Im Juni 1915 verteidigte er mit dem Bürgermeister einige junge Männer, die Zwangsarbeit an deutschen Schützengräben verweigerten. Als Symbol des Widerstands wurde er von den Besatzern schikaniert.
Die deutsche Militärverwaltung schüchterte mit stringenten Verordnungen die Zivilbevölkerung ein, publiziert im BULLETIN DE LILLE, einem Organ der Stadtverwaltung unter deutscher Kontrolle. Ziel der Besatzer war, die personellen und materiellen Ressourcen der Region auszubeuten.
Wehrfähige Männer wurden als Kriegsgefangene betrachtet und zu Zwangsarbeiten verpflichtet, meist an der Infrastruktur. Bei einer Verweigerung drohten hohe Strafen. Frauen wurden für Fabrik- und Feldarbeiten rekrutiert, Kinder und alte Leute für Gartentätigkeiten. Geiselnahme war ein weiteres Mittel, um das besetzte Gebiet zu beherrschen, ebenso die Deportation von Zivilisten in deutsche Lager.
Mit Beginn der Besatzung liefen die Requisitionen von Rohstoffen, Fabrikwaren und Maschinen an. Später wurden auch Haushaltsutensilien konfisziert, bevorzugt Metallgegenstände. Glocken, auch die von Ascq, wurden eingeschmolzen. In den ländlichen Gebieten wurden immer mehr Lebensmittel, Vieh, Pferde, Futter, Getreide, Obst und Gemüse, Hühner und Kaninchen beschlagnahmt. Es kam zu Versorgungskrisen und Hungersnöten. Die Ausplünderung wurde von der Besatzungsmacht als Kompensation für die Blockade der Alliierten deklariert.
Ab 9. Oktober 1918 zogen sich die deutschen Truppen aus Villeneuve d‘Ascq zurück. Sie verminten Straßenkreuzungen, bombardierten Häuser und nahmen über 1.400 Männer als Geiseln mit. Mitte Oktober wurden die Dörfer von Engländern und Portugiesen befreit. Die Besatzung war vorbei.